„Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ – von Antje Jonas (http://www.das-ist-rostock.de)
Der Weimarer Dichterfürst wird heute weniger gelesen und auf dem Theater gespielt als noch vor dreißig oder vierzig Jahren. Aber das macht fast gar nichts. Auch wenn es nicht mehr zum guten Ton gehört, dass man „seinen“ Goethe gelesen haben muss, der Staatsmann und Künstler Goethe bleibt unangetastet Teil unserer kulturellen Identität. Dafür haben viele gesorgt: die berühmten Zeitgenossen, Schiller, Herder, Wieland und Humboldt voran, sowie nach ihnen ein millionenstarkes Publikum des 18. und 19. Jahrhunderts. Auch Autoren des 20. Jahrhunderts reihten sich ein. Kennen Sie Peter Hacks? Den unangepassten genialen Dramatiker, Lyriker und Theaterautor? Er war 1955 aus München in die junge DDR gekommen, verehrte Bertold Brecht und war ein erklärter Feind von Heiner Müller. Hacks‘ Texte sind großartig, sein Charakter war es eher nicht. Aber das spielt im Grunde keine Rolle, weder bei ihm noch bei Goethe. Wichtig ist das Werk. Hacks liebte die Weimarer Klassik, er liebte Goethe. Das ist alles fast vergessen. Peter Hacks wird wenig gelesen und kaum noch gespielt, ein Jammer!
Doch in Rostock hat man sich seiner jetzt erinnert. Die Compagnie de Comédie mit ihrer kleinen Bühne und ihrem großen Herzen für Komödie, Schwank und Kabarett hat es gewagt. Wer wagt, gewinnt! Glückwunsch an Martina Witte zu ihrer Entscheidung, diesen DDR-Autor wieder aufzuführen. Wer die Premiere am 4. Februar besuchte, erfuhr, was es mit dem „Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ auf sich hatte. Ein Monodram wurde aufgeführt, das nach seiner Uraufführung 1976 in Dresden nicht nur in der DDR begeistert aufgenommen wurde. Es wurde in Ost und West gleichermaßen bejubelt und in mehrere Sprachen übersetzt. Marcel Reich-Ranitzky liebte diesen Text.
Katja Klemt als Charlotte von Stein tritt auf. Hoch gewachsen, mit stolzer Haltung der Adligen und angetan mit einem cremefarbenen Spitzenkleid. Zum Spielen nur wenige Requisiten- ein Tisch, ein Stuhl, eine Schachtel mit den Briefen des Geliebten. Im Zentrum steht der Text, der das psychologisch überaus raffinierte Spiel zwischen Nähe und Distanz nachzeichnet, das zwischen der Hofdame und dem Bürgerlichen ein Jahrzehnt währte und mit Goethes Flucht nach Italien 1786 ein abruptes Ende fand, ein vorläufiges Finale, wie man weiß. Beide gingen später in spannungsreicher Freundschaft doch wieder aufeinander zu. Der Text von Peter Hacks ist ein Bravourstück. Obgleich allein Charlotte spricht, wird gerade Goethe sicht- und erlebbar. Die Hofdame wendet sich direkt ans Publikum oder ihren Ehegatten, der als Puppe bewegungslos in einem Sessel verharrt. Charlotte zieht Bilanz. Goethe war ein unerfahrener Rüpel und erfolgreicher Jungautor, als er nach Weimar kam. Sie, die sechs Jahre älter war als er, übernahm aufopferungsvoll die Aufgabe, ihn in die adlige Version des deutschen Idealismus einzuweisen. So lernte sie ihn kennen und lieben und verachten. Spannungsreich schildert sie seinen Charakter, seine Erfolge und Misserfolge. Sie ringt mitunter um Haltung, die sie dann doch zu bewahren weiß. Ihre Schilderungen spiegeln auch ihre eigene Person, die zwischen höfischer Moral und Eigensinn die Balance suchen muss. Ein Vergnügen war es, den langen und galanten Sätzen aus der Feder des DDR-Exzentrikers Peter Hacks zuzuhören; ein Vergnügen gleichermaßen, der Schauspielerin zuzusehen, wie sie mit Text und Gestus auf nahezu leerer Bühne umzugehen verstand. Der Regisseur Reiner Heise stattete die Figur der Charlotte von Stein stilsicher mit kleinen Gesten und Bewegungen aus, die den Rhythmus des Monologs noch reizvoller erstrahlen ließen.
Dieses „Gespräch im Hause Stein…“ bietet uneingeschränkten Theatergenuss für Goethe- und Hacks-Liebhaber und solche, die es werden wollen.